Nach langwierigen Verhandlungen gelang eine weitestgehend an freisinnigen Vorstellungen orientierte Neufassung der Kreisordnung für die östlichen sechs Provinzen der preußischen Monarchie. Das Gesetz vom 13. Dezember 1872, am 01. Januar 1874 in Kraft tretend, schuf einschneidende Neuerungen in der Verwaltung der Kreise.
Den Kreisen, die bis zu diesem Zeitpunkt zur Umsetzung der königlichen Erlasse, lediglich staatliche Verwaltungsbezirke waren, wurde Selbstverwaltung übertragen. Jeder Kreis war von nun an befugt, Anordnungen und Reglements zu erlassen. Die kreisangehörigen Städte mussten eine Kreisumlage erbringen. Kreisangehörige waren verpflichtet, Ehrenämter anzunehmen.
An der Spitze der Verwaltung stand der auf Vorschlag des Kreistags vom König ernannte Landrat. Er war zugleich Vorsitzender des Kreistags und Kreisausschusses. Ihm war ein Kreissekretär zugeteilt, und zwei gewählte Kreisdeputierte. Ein vom Kreistag gewählter Kreisausschuss von sechs Mitgliedern stand dem Landrat in der Verwaltung der Kreisangelegenheiten zur Seite. Der Kreisausschuss übernahm auch den ihm übertragenen Wirkungskreis der allgemeinen Landesverwaltung.
Dazu gehörten Angelegenheiten der Armenpolizei, Wegepolizei, Gewerbepolizei, Bau- und Feuerpolizei, Vorfluts-, Ent- und Bewässerungssachen, Ansiedlungs- und Dismembrationssachen, Kommunal- und Schulsachen sowie die Aufstellung der Geschworenen-Urlisten bei Wahlen.
Der Kreistag bestand aus 25 Mitgliedern und trat mindestens zweimal jährlich zusammen. Seine Legislaturperiode betrug 6 Jahre.
In Ausführung der Kreisordnung erfolgte die Einteilung des Kreises Wittenberg in 12 Amtsbezirke.
Der damalige Landrat Otto Heinrich von Jagow hatte in seiner Eigenschaft als Abgeordneter gegen das Schulaufsichtsgesetz und gegen die Kreisordnung gestimmt und wurde aus diesem Grunde von der Regierung zur Disposition gestellt. Mit Jahresbeginn 1874 nahmen der neu gewählte Kreisausschuss und Kreistag die Tätigkeit und am 06. Juli 1874 wird Dr. jur. Kurt von Koseritz zum Landrat ernannt.
In seine Amtszeit fällt die Erbauung des so genannten „Kreisstände-Hauses“, dem heutigen Hauptsitz der Verwaltung des Landkreises Wittenberg. Das Grundstück Grünstraße/ Ecke Lindenstraße wurde von der Kirche erworben. Der Überlieferung zufolge befand sich hier ein städtischer Turnplatz.
Der Bau des Kreishauses erfolgte nach Plänen des Architekten Franz von Schwechten. Die erste Sitzung des Kreistages im Sitzungssaal des neuen Kreishauses fand im Dezember 1879 statt.
Sowohl Unterlagen der damaligen Kreistage als auch ein unglaublich vielfältiges Angebot an Tageszeitungen aus der Zeit ab 1852 sind für diese Epoche der Entwicklung des Kreises Wittenberg in den Beständen des Kreisarchivs Wittenberg überliefert.